Montag, Januar 22, 2007

Das Internet

Das Internet spielt eigentlich nur für diejenigen eine Rolle, die entweder gar keine Zeit haben oder dann zuviel. Als das wahrscheinlich langsamste Telefon der Welt verbindet es die Menschen und schafft so die Grundlage für allerlei Schabernack. Flatratebenutzer können sich aus dem Internet Notwendiges - aber auch sehr viel Unerbauliches - herunterladen, verschimmeltes Toastbrot auf Ebay ersteigern oder in dreidimensionalen Chaträumen herausfinden, wie es sich anfühlt, tot zu sein. Die intensiven Nutzer lassen sich in folgende drei Typen kategorisieren:

1. Der total Bekloppte
2. Der Kulturpessimist
3. Das Arschloch

1. Der total Bekloppte

Der total Bekloppte lebt in der irrigen Annahme, beim Internet handle es sich um ein Paralleluniversum. Er schwafelt gerne und oft vom Web 2.0, betreibt mehrere Blogs und verfügt über Bookmarks, die auf Seiten verweisen, die derart empfehlenswert sind, dass er sie nur ungern weiterempfiehlt. Der TB sieht sich oft als Teil einer weltweiten Community, die jeder Regierung, jedem Staat, jeder Ideologie, jeder Gesellschaft, vor allem aber allen Medien gegenüber grundsätzlich kritisch eingestellt ist und eigentlich gar nichts glaubt - ausser es steht im Internet. Verschwörungstheorien aller Art tangieren die Kernkompetenz des TB, wobei er auch da wählerisch ist. Sein Selbstverständnis speist sich aus der "Macht der Ohnmächtigen"; im Nerd-Dschungel bewegt er sich panthergleich, das Verschleiern von IP-Adressen fällt ihm leicht. Er weiss vieles, was andere nicht wissen und was er nicht weiss, stimmt so sowieso nicht. Im realen Leben wäre der TB gerne Hausbesetzer resp. -besitzer, ev. auch Journalist. Er arbeitet aber für gewöhnlich bei der Cablecom, wo er via Hotline Probleme lösen muss, die keine wären, würden sich die Cablecom-Kunden endlich einmal die vorbildlich verfassten Installationsbroschüren zu Gemüte führen. Die Folgen: Der TB fühlt sich unterfordert, missverstanden, ungeliebt. Eine Freundin würde ihm gut tun, doch die einschlägigen Single-Börsen sind ihm zu profan, zumal er da längerfristig seine Anonymität aufgeben müsste. Von der abendländischen Philosophie hält der TB nicht viel. Von der fernöstlichen auch nicht. Matrix aber hat ihm gefallen. Also weiter durchs Netz. Der TB hört gerne Drum'n'Bass, exquisite elektronische Musik und Rock, zu dem man tanzen kann.

2. Der Kulturpessimist

Vom total Bekloppten unterscheidet sich der Kulturpessimist dadurch, dass er nicht nur die ganze Welt, sondern auch gleich noch das ganze Internet doof findet. "Soo toll finde ich das Internet gar nicht", hört man ihn oft sagen. Von berufswegen vor allem tagsüber dazu verdammt, mit dem Netz verbunden zu sein, nutzt der KP das Internet als eine Art Enzyklopädie des Banalen und Profanen. "Mal schnell nachsehen, was da draussen so vor sich geht", denkt sich der KP und klickt sich lust- und ziellos durch diverse Foren und Newsseiten. Er vermeidet es dabei, irgendwelche Spuren zu hinterlassen, verharrt in der Position des Beobachtenden und verspürt immer eine leichte Übelkeit. Er macht sich Sorgen und dies zu recht: Wenig ist geblieben vom Pioniergeist der Anfangszeit, als das Prinzip von Sender und Empfänger aufgehoben schien, Hypertext und andere Nettiketten ihre zarten Knospen trieben und noch alles denkbar war. Blöd nur, dass der KP damals noch keinen Anschluss hatte bzw. diesen "bloss zum E-mailen" nutzte. Das hält ihn allerdings nicht aber davon ab, enttäuscht zu sein. Und so hört man ihn denn nun lamentieren über die "Pornografisierung des Internets", über die "Diktatur von Google", über die fehlende journalistische Ausbildung unter Bloggern, über Happy Slapping und mehr schlecht als recht hingerichtete Ex-Diktatoren. Vorteile gibts natürlich auch, klar, Ferien buchen und so, aber - und das weiss der KP, deshalb sein Name - die Tendenz weist steil nach unten. Im realen Leben wäre der KP gerne Journalist, was er zumeist auch ist. Für die abendländische Philosophie ist er in der Regel offen. Besonders Schopenhauer hat es ihm angetan. Ins Kino geht er schon lange nicht mehr. Musikalisch bevorzugt er Rock, zu dem man nicht tanzen kann. Bob Dylan vor allem.

3. Das Arschloch

Das Arschloch zeichnet sich dadurch aus, dass es schon überall war, wo man gerade hinwill. In welchem Forum auch immer, bei Youtube, in jedem Gästebuch, in Second Life, bei imdb, in jedem Chatraum, in jeder Community. Man könnte sich an dieser Stelle die Mühe machen, zwischen dem unfreiwilligen und dem mutwilligen, zwischen dem jüngeren und dem älteren, zwischen dem corporate und privaten AL zu unterscheiden, doch da der Effekt derselbe ist, fassen wir zusammen: Das AL im Netz ist von seiner Anonymität absolut überzeugt, ja berauscht. Hinter jedem Spam, hinter jedem Virus, hinter jeder Bannerwerbung, hinter jedem katastrophalen Kommentar und Artikel, hinter all dem menschenverachtenden Scheiss, der sich im Internet im Laufe der Jahre angehäuft hat, steckt mindestens ein, wenn nicht mehrere AL. Das AL weiss um die Schwachpunkte des Systems und nutzt es zu seinem Vorteil und Vergnügen aus. Experten vermuten, dass das AL zu den allerersten Usern gehört, das Netz womöglich sogar mitaufgebaut haben könnte. Im realen Leben bewegt sich das AL zumeist unauffällig, entweder es drückt im mittleren Westen der USA die Schulbank, betätigt sich gerade bei einer Zürcher Grossbank als Finanzanalyst oder ordnet in der Leibziger Universitätsbibliothek die Bücher ein. Wir wissen es nicht. Im Netz jedenfalls ist es entfesselt und ein richtiger Depp. Philosophisch wollen wir ihm einmal Nietzsche zuordnen, es steht wohl heimlich auf romantische Komödien, mag es aber musikalisch eher hart.

Es handelt sich hierbei um eine grundsätzliche Typologisierung. In der Praxis sind häufig Mischformen anzutreffen.

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