1994 erschien Jeff Buckleys meisterhaftes Debütalbum. „Grace“ sollte das einzige vollendete Studiowerk des vor 10 Jahren verstorbenen Singer-/Songwriters bleiben.
Woraus bilden sich Mythen? Wann wird Pop zum Kult? Wodurch wird ein Werk zum Klassiker? Für die Anhänger des 1997 bei einem Badeunfall ums Leben gekommenen US-Musikers Jeff Buckley ist der Fall klar. Buckley war ein Genie, das viel zu früh aus dem Leben gerissen wurde, und dessen Vermächtnis noch nicht ausreichend gewürdigt worden ist. Gespiesen wird dieses Interesse durch immer obskurere Aufnahmen, die Mary Guibert, die Mutter und Nachlassverwalterin des toten Rockstars, in regelmässigen Abständen zur Veröffentlichung freigibt.
Das Monument aber, das es in seiner ganzen Anmut zu bewundern gilt, heisst „Grace“. Nach monatelanger Studioarbeit im Spätsommer 1994 veröffentlicht, löste das Album zunächst unterschiedliche Reaktionen aus. Der Name Buckley generierte zwar Aufmerksamkeit – immerhin handelte es sich bei Jeff um den Sohn von Tim Buckley -, doch wollte das ausufernde Kunstwerk aus Songs und Sounds nicht recht in seine Zeit passen. Für Grunge klang „Grace“ zu dünn, für Lo-Fi zu produziert. Geradezu provokant war jedoch Jeff Buckleys elastische Stimme. Ganz ohne Cobain’sches Krächzen, Corgan’sches Nöhlen oder Barlou’sches Nuscheln schien sie zu sagen: Hört mir zu, ich kann richtig singen!
Dass sich hinter so viel Virtuosität eine klassische Ausbildung verstecken könnte, durfte man allenfalls vermuten – zu wenig war bekannt aus dem Vorleben des scheuen Sängers. Die Jahre zuvor hatte der Mittzwanziger eigenen Angaben zufolge an einer Kunstschule in Los Angeles sowie in diversen mässig erfolgreichen Bands verbracht. Während einer seiner zahlreichen Clubauftritte in New York wurde schliesslich ein Talentscout von Columbia Records auf den Barden aufmerksam. Die Kunde, das Label habe den talentierten Sohn des 1975 gestorbenen Folksängers Tim Buckley unter Vertrag genommen, sprach sich schnell herum. Entsprechend hoch waren die Erwartungen.
„Es war sehr schwer, mit Jeff zu arbeiten“, erinnert sich Produzent Andy Wallace. Buckley habe sich schwer damit getan, Entscheidungen zu treffen und das Ende der Aufnahmen immer wieder hinausgezogen. Der Künstler selbst scheint die Zeit im Studio genossen zu haben. Auf der DVD zur Jubiläumsausgabe von „Grace“ schwärmt er von den musikalischen Möglichkeiten, die sich ihm dadurch eröffnet hätten; die Streicher im Titelsong bezeichnet er als „königlichen Besuch“, die Gitarrenarbeit von Co-Autor Gary Lucas als „magisch“, den eigenen kreativen Output als „problemlos“.
Grössere Sorgen dürfte Buckley die Songauswahl bereitet haben. Für die Länge eines Albums reichten die Eigenkompositionen nicht aus. Bei der Wahl der Coverversionen bewies Buckley Sinn für Esoterisches. Für Leonard Cohens „Hallelujah“ orientierte er sich an John Cales Version, „Corpus Christi Carol“ stammt von Benjamin Britten und „Lilac Wine“ von James Shelton. Es sind denn auch diese drei Songs, die die Eckpfeiler von „Grace“ bilden. Der Sänger sprengt allerdings nicht nur mit der Songauswahl die Grenzen von Rock und Pop. Er transzendiert mit seiner Stimme das eigene wie das fremde Liedgut, schraubt sich immer wieder in unerahnte Höhen und erzeugt dadurch eine Intensität, die mitunter richtig weh tun kann.
Die grundsätzliche Melancholie, die das Album durchzieht, ist eine Qualität von „Grace“ – und möglicherweise seine Hypothek. Die Verkaufszahlen fielen trotz Kritikerlob anfänglich enttäuschend aus. Die heutige Popularität des Albums – mittlerweile sind 2 Millionen Exemplare verkauft und die Leser des „Q Magazine“ wählten das Album unter die 20 besten aller Zeiten – hat der Künstler nicht mehr erlebt. Durch den frühen Tod ihres Urhebers mögen Songtitel wie „Eternal Life“ oder „Last Goodbye“ ein ungebührliches Gewicht erhalten haben. Klar ist aber auch, dass „Grace“ über die Jahre kaum gealtert ist. So anachronistisch Buckleys Musik damals wirkte, so zeitlos erscheint sie heute. Künstler wie Radiohead, Coldplay, Rufus Wainwright oder U2 beziehen sich explizit auf den US-Musiker.
Das unfertige, posthum veröffentlichte „Sketches for My Sweetheart, the Drunk“ sowie eine Reihe von Live-Alben deuteten an, wohin Buckleys Reise musikalisch hätte gehen können. Er aber entschied sich für ein Bad im Mississippi.
Jeff Buckley wäre heute 40 Jahre alt. Am 29. Mai jährt sich sein Todestag zum 10. Mal.
Copyright by Martin Söhnlein 2007. Der Text erscheint im kommenden Loop.
Dienstag, Februar 20, 2007
Mystery White Boy
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