Juli 1987. Ich hielt mich gerade zufällig in New York auf. Das heisst: eigentlich überhaupt nicht zufällig. Monatelang hatte ich mich auf die Reise gefreut und war zumindest musikalisch gut vorbereitet. In der Musikspirale in Aarau hatte ich mir Jackson Brownes Debüt („Sature Before Using“) sowie Billy Joels „Turnstiles“ zugelegt, was mir eine gute Wahl schien, zeugte doch die damalige Hitparade von der Krise der späten Achtziger (Sabrina überlegte sich im selben Moment, wie ihr Video zu „Boys Boys Boys“ aussehen könnte). Ganz ohne Zeitgenössisches kamen meine drei Mixtapes dann doch nicht aus: Billy Idols „Sweet Sixteen“ (war mir nicht ganz geheuer), Yellos „The Rhythm Devine“ (mit Shirley Bassey), irgendwas von „Chicago 18“, Depeche Modes „Stripped“.
Am 7. Juli sass ich also in einem Greyhound-Bus neben einer Schulfreundin und hörte mir auf meinem Aiwa-Walkman „New York State of Mind“ an. Geplant war der totale USA-Trip: in 4 Wochen durchs ganze Land. Ein irgendwie alternativ aussehender Mitreisender rauchte komische Zigaretten und erzählte uns von seiner „HC-Band“, worunter ich mir nicht viel vorstellen konnte. In Salt Lake City dann ein erster Zwischenhalt. Im Shopping-Center spielten sie „Send in the Clowns“ (Barbra Streisand, „The Broadway Album“), uns fiel eine Gruppe von jungen Punks auf, die in die propere Mormonenstadt nicht recht reinpassen wollten. Am Abend kam die Überraschung: Ein unverdächtig aussehender Hauseingang führte uns in die Unterwelt, wo mir das bis dahin lauteste, wildeste und coolste Konzert meines Lebens widerfuhr. Das war also HC. Ein Pick-up brachte uns später noch an eine Party. Als dort jemand „The Dark Side of the Moon“ auflegte, beschlossen wir weiterzuziehen.
In San Francisco sind wir dann irgendwie hängengeblieben. Die europäischste aller amerikanischen Städte hatte sich von ihrer Hippievergangenheit noch nicht ganz erholt, andererseits war sie schwul und trendy genug, die ganz grossen „Today“-Partys steigen zu lassen. George Michaels „I Want Your Sex“ hämmerte in den Clubs, Prince („Housequake“), Michael Jackson („I Can’t Stop Loving You“) und Madonna („Who’s That Girl“) waren allgegenwärtig und auf den Radiostationen rotierte „I Need Love“ von L.L. Cool J - die erste und zugleich letzte wahre Rap-Ballade der Musikgeschichte. Ich verabschiedete mich persönlich von den Achtzigerjahren, indem ich einen der ersten portablen CD-Playern erwarb. Dazu kaufte ich mir drei CDs: „Private Revolution“ von World Party, „Bigger & Deffer“ von L.L. Cool J, „See How We Are“ von X.
Irgendwann übernachtete ich in einer Galerie. Ein rührige Radiostation spielte exklusiv Roger Waters neues Album („Radio K.A.O.S.“), ein anderer Sender bot mir die „The Moody Blues Story“ an, ein weiterer machte mir Todd Rundgren („We Gotta Get You a Woman“) schmackhaft. Das genügte. Ich entschied mich, nicht mehr in die Schweiz zurückzukehren. Als wir dann Anfang August über ein arg bewölktes Zürich kreisten, wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie klein die Schweiz doch war. Die Pet Shop Boys führten mit „It’s a Sin“ die Schweizer Charts an. Die „Sun“ bezeichnete den Song als Plagiat, die Melodie sei Cat Stevens „Wild World“ entnommen, doch das war mir in dem Moment auch egal. Ich war schliesslich erst achtzehn – und das konnte ja wohl noch nicht alles gewesen sein.
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